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Krieg am Niederrhein

Die Ereignisse im Raum Wesel 1944/45

Hans Heßmer

Als Feldwebel in der deutschen 6. Fallschirmjägerdivision sollte Hans Heßmer mit seiner Panzerjägerabteilung das Dorf Bienen verteidigen. Am 25. März 1945 wurde er verwundet und geriet in Gefangenschaft.

Hier ruhen die deutschen Soldaten, die in Bienen fielen:
Der Bienener Soldatenfriedhof - angelegt im Sommer 1945.

Unsere Einheit, die Panzerjägerabteilung 6 von der 6. Fallschirmjägerdivision, kam schwer angeschlagen aus dem Brückenkopf Wesel in rechtsrheinisches Gebiet. Einige Tage haben wir in einem kleinen Ort bei Wesel verbracht, dann sind wir nach Bienen verlegt worden. Rund um die Kirche kam unsere Einheit in Privatquartiere. Ich war mit einigen Kameraden im Hause Paul Becker untergebracht. Es waren Tage, die wir in verhältnismäßiger Ruhe verbrachten, und ich erinnere mich, dass Frau Becker manchmal auch für uns Soldaten eine leckere Milchsuppe kochte. Einige Male ging ich mit meinem Kameraden Heinz Otto in die direkt neben unserem Quartier liegende Bienener Pfarrkirche. Heinz Otto war angehender Organist; er spielte dort die Orgel und ich musste für ihn den Blasebalg drücken. Wir wurden in unsere Stellungen eingewiesen und waren auch mit deren Ausbau beschäftigt. Wir waren nur mit unseren Infanteriewaffen ausgerüstet. Über Geschütze zur Panzerabwehr, die wir als Panzerjäger unbedingt benötigten, verfügten wir nicht. Wir hatten nur die Panzerfaust und den Panzerschreck, Waffen, die nur zur Nahabwehr tauglich sind. Unser Kompaniegefechtsstand war an der Millinger Straße. Unser Kompanieführer war Helmut Franz. Wir genossen die Ruhetage in Bienen, wussten aber bestimmt, dass diese nicht von langer Dauer sein würden. Es wurde vermutet, dass sich der Rheinübergang in dieser Gegend abspielen würde. Ungefähr 2 bis 3 Tage, bevor es dann losging, wurde in unmittelbarer Nähe unseres Quartieres ein Landarbeiter beim Pflügen auf dem Feld von angreifenden Jabos getötet. Ein Kamerad von mir musste die schwerverletzten Pferde erschießen.

Der deutsche Soldat Heinz Otto wurde bei den Kämpfen
in Bienen im Alter von 28 Jahren getötet.
(Foto: Sammlung Becker)

Am Freitag, dem 23. März, gegen 17.00 Uhr, setzte dann das vorbereitende Artilleriefeuer für den Angriff von der anderen Rheinseite her ein. Wir Soldaten rieten der Familie Becker, die in ihrem Hause über keinen sicheren Kellerraum verfügte, sich zu einem geeigneteren Schutzraum im Hause Aryus zu begeben. Bei dem schnellen Umzug haben wir die Familie Becker noch begleitet. Das sehr starke, konzentrierte Granatfeuer hielt ununterbrochen bis zum anderen Morgen an. Dann wurde es etwas ruhiger. An einigen Stellen im Dorf, auch bei uns am Kirchplatz, kamen Verstärkungen an. Am Kirchplatz fuhren einige Panzer bzw. Sturmgeschütze in Stellung. Diese wurden im Laufe des Vormittages, am Samstag, dem 24. März, von gegnerischen Jagdbombern mit Raketen angegriffen. Wir waren in Deckung, und als die Jabos abdrehten, sahen wir, was sie angerichtet hatten. Ein Besatzungsmitglied des Panzers, vermutlich war es der Kommandant, der vor dem Angriff den Panzer verlassen hatte, suchte und rief verzweifelt nach einer Brechstange. Sein Panzer hatte Raketentreffer erhalten, und die Luke ließ sich weder von innen noch von außen öffnen. Wir hörten die verzweifelten Rufe der Eingeschlossenen und Qualm drang aus dem Inneren nach außen. Kurze Zeit darauf gab es eine Explosion - im Inneren des Panzers war die Munition hochgegangen. Wir wussten schon, dass es dort nichts mehr zu retten gab. Das Haus unserer Quartiersleute stand in Flammen. Aus dem Kirchendach stieg an einer Stelle verdächtiger gelblicher Qualm nach außen. Nach unserer Erfahrung rührte dieser von einer Phosphorgranate her. Mit einem Kameraden bin ich von innen den Kirchturm hinaufgestiegen, wir kamen aber nicht weiter ins Mittel- oder Seitenschiff, und wir mussten uns wieder nach unten begeben. Ob nun die Kirche durch diese Phosphorgranaten oder beim Angriff der Jabos in Brand geriet, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Aus dem Hause Aryus habe ich später noch solch eine Brandgranate nach draußen werfen können. Am späten Nachmittag, am Sonntag, dem 25. März 1945, war der Kampf um Bienen entschieden. Unsere Gruppe war im Hause Aryus versammelt, und wir wollten uns weiter zur Hauptstraße hin absetzen. Wir waren in der Diele des Hauses, als ein Panzergeschoß dort einschlug. Einige Kameraden waren tödlich getroffen und andere schwer verwundet. Ich erhielt eine Oberschenkelverwundung. Im Keller wurden wir notdürftig verbunden. Hierbei haben die Töchter unserer Quartiersleute hervorragendes geleistet. Durch die kurz darauf eintreffenden kanadischen Soldaten wurden wir nach oben geschafft und auf ein Transportfahrzeug verladen. Die ganze Nacht blieben wir auf diesem Fahrzeug am Hause Aryus liegen, ohne weiter versorgt zu werden.

(veröffentlicht in: Josef Becker, Bienen 1939-1945. Erinnerungen, Erlebnisse, Berichte, Bienen 1999)