John G. Kormann
Als amerikanischer Soldat diente John G. Kormann in der 517. Luftlande-Fernmeldekompanie der 17. US-Luftlandedivision. Er beschreibt, was ihn am Tag vor der Operation Varsity bewegte und wie er am Tag der Landung bei Hamminkeln am 24. März 1945 eine lebensrettende Entscheidung traf.
Teil 1

deutschsprachigen Elternhaus auf. Seine Mutter war aus
Deutschland in die USA ausgewandert, sein Vater kam aus Österreich.
Um fünf Uhr nachmittags bekamen wir ein besseres Essen als sonst und wurden sogar ermutigt, noch einen Nachschlag zu holen, was wir gerne taten. Es bestand für uns damals kein Zweifel daran, dass am nächsten Tag etwas passieren würde. Wir kehrten zu unseren Zelten zurück und begannen, unsere Ausrüstung zu überprüfen. Gewehrbolzen klickten. Kratzende Geräusche waren zu hören, als Grabenmesser und Bajonette geschärft wurden. Ich rückte das Netz über meinem Stahlhelm zurecht, an dem ein kleines Verbandspäckchen mit Sulfonamid-Pulver zur Wunddesinfektion befestigt war. Besondere Aufmerksamkeit schenkte ich der M-3-Maschinenpistole, die ich kürzlich als Ersatz für mein Gewehr erhalten hatte; irgendwie fühlte ich mich mit dieser Waffe unwohl. Zuvor hatte ich eine 7,5 x 13 cm große amerikanische Flagge auf den rechten Oberarm meiner Kampfjacke genäht. Einige der Männer schrieben letzte Briefe nach Hause.
Es war noch hell, als wir den Ruf „Postausgabe!“ hörten. Wir versammelten uns alle draußen, um dem Postbeamten zuzuhören, der die Empfänger aufrief. Es war schon eine Weile her, seit wir Post bekommen hatten, und tatsächlich waren zwei Briefe für mich da, einer von meiner Mutter, der andere von meiner Schwester Elsie.
Elsies Brief spiegelte ihre gewohnt fröhliche Art wider, war voller Neuigkeiten und erinnerte mich vermutlich daran, öfter nach Hause zu schreiben. Mutters Brief hingegen ärgerte nicht sehr. Sie hatte immer ein sicheres Gespür dafür, was mit mir geschah, und ich merkte, dass sie wusste, dass ich in den Einsatz gehen würde. Ihr Brief sprach von dem Deutschland, in dem sie aufgewachsen war, dass es einige dieser guten Menschen noch geben musste und dass ich Mitgefühl für meinen Feind haben und barmherzig sein sollte. Ich könnte einem Jungen gegenüberstehen, um den sich eine Mutter Sorgen machte und für ihn betete, genau wie für mich. Ich war wütend. Sie hatte keine Ahnung, dass ich in meiner gesamten Ausbildung gelernt hatte, „zu töten oder getötet zu werden“, und dass „eine Sekunde Zögern dein Leben bedeuten kann“. Was wollte sie eigentlich? Dass ihr Sohn getötet würde? Ihre Einmischung war das Letzte, was ich in diesem Moment brauchen konnte. Die Lage war schlimm genug. Wenn es jemals einen Zeitpunkt gab, an dem ich hart sein musste, dann jetzt. Ich erinnere mich, wie ich beim Schärfen meines Grabenmessers vor mich hin murmelte, ob meine Mutter einfach nicht begreifen kann, in welcher Lage ich war? Nach einer Weile beruhigte ich mich, aber in dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. (…)
Gegen drei Uhr morgens am nächsten Tag, dem 24. März 1945, wurden wir geweckt und bekamen ein reichhaltiges Frühstück mit Steak und Eiern, danach gab es noch Apfelkuchen. Niemand sagte, es könnte unsere letzte Mahlzeit sein, aber ich bin sicher, dass dieser Gedanke allen nicht fern war. Dann kehrten wir zu den Zelten zurück, schlossen die Vorbereitungen ab, legten unsere Kampfausrüstung an und zogen zum Flugplatz. (…)

am Morgen des 24. März 1945 einen WACO-Lastensegler.
Wir warteten eine Weile und wurden dann, gemäß der Beladungsliste vom Vortag, zum Einsteigen in die Segelflugzeuge beordert. Der Pilot und der Copilot des Air Corps saßen bereits auf ihren Plätzen und überprüften die Steuerung. Wir waren insgesamt sechs Mann im WACO, dazu kam der Jeep, beladen mit Ausrüstung und zusätzlichen 20-Liter-Benzinkanistern. Während wir gespannt warteten, gab die C-47 vor uns Gas, rollte langsam an, bis die Schleppseile sich spannten und startete dann träge auf der langen Landebahn, während wir hinterherhüpften. (…)

Wir waren in diesem Lastensegler unendlich lange in der Luft. Ich glaube, keiner von uns hatte eine genaue Vorstellung, wie lange, aber es müssen fast drei Stunden gewesen sein. Die ganze Zeit wurden wir durchgeschüttelt und beteten, dass die Spannseile am Jeep straff blieben.(…) Als wir uns der Landezone näherten, war den meisten von uns vom Gestank des Erbrochenen schlecht oder bekamen selbst einen Brechreiz. Das übliche Vorgehen von Fallschirmjägern bei Luftkrankheit bestand darin, den äußeren Stahlhelm vom Innenhelm zu trennen und ersteren als Auffangbehälter zu verwenden. Das mag im Training in Ordnung gewesen sein, aber im Gefecht sollte man besser einen kompletten Helm tragen, wenn der Beschuss losgeht. Folglich stopften diejenigen, denen übel geworden war, in dem Moment, als wir unter Feuer kamen, ihre Innenhelme zurück in den in die Stahlhelm und setzten sie auf, wobei das Erbrochene an den Rändern heruntertropfte. Das war ein Anblick, bei dem sogar ein erwachsener Mann aschfahl wurde!
Der Pilot rief uns zu, dass wir über deutschem Gebiet flogen und und uns dem Rhein näherten. Als ich nach unten blickte, sah ich, dass die gesamte Areal von Rauch oder Dunst bedeckt zu sein schien. Innerhalb von Sekunden hörten wir Geräusche, die an Kieselsteine erinnerten, die auf ein Blechdach geworfen werden, durchsetzt mit lauten, dumpfen Geräuschen. Lichtblitze blitzten in der Stoffkonstruktion um uns herum auf, dazu knisterte es im Sperrholzboden. Wir waren Flakfeuer und Beschuss durch Handfeuerwaffen ausgesetzt. Alle außer den Piloten duckten sich um den Jeep und hofften, das Fahrgestell würde ihnen etwas Schutz bieten. Ich betete, dass der volle Tank des Jeeps nicht getroffen würde, sonst würde der Lastensegler zu einem Inferno werden. In diesen letzten Minuten waren wir ein vollkommen hilfloses Ziel.
Teil 2
Im zweiten Teil seiner Erinnerungen beschreibt der amerikanische Luftlandesoldat John G. Kormann, was am 24. März 1945 auf der Landezone „N“ im Heiderott bei Hamminkeln geschah.
Wir landeten parallel zum Waldrand und während wir noch in der Luft waren, streifte einer unserer Flügel einen bereits gelandeten Lastensegler. Wir hatten noch immer fast Fluggeschwindigkeit und krachten mit einer Bauchlandung auf den Boden, hüpften auf und ab, schlingerten und schrammten, bis die Nase mit voller Wucht gegen einen Baumstamm prallte. Bei der Landung wurden wir alle wild durcheinander geschleudert. Ich war kurz bewusstlos. Als ich wieder zu mir kam, hörte ich Stöhnen und Fluchen. Als uns klar wurde, dass auf uns geschossen wurde, drängten wir alle zur Tür und stolperten hastig aus dem Lastensegler. Als im auf dem Boden lag, konnte ich mich kaum noch bewegen. Mein linkes Hosenbein war zerrissen und entblößte ein stark blutendes und geschwollenes Knie. Ich schien überall Schnitte, Schürfwunden und Prellungen zu haben. Tatsächlich war ich vielleicht in besserer Verfassung als einige der anderen, insbesondere die Piloten, die im Bug die Wucht des Aufpralls voll abbekommen hatten. Es waren keine Sanitäter in der Nähe, und minutenlang lagen wir alle am Boden.

Bei der Kollision war der Jeep nach vorne geschleudert worden, wobei die Bugklappe des Lastenseglers teilweise angehoben und nach oben gegen den Baum gedrückt wurde. Unter diesen Umständen gab es keine Möglichkeit, den beschädigten Jeep aus dem WACO zu bergen. Durch das Hochklappen des Bugs wurden jedoch die Sitze der Piloten angehoben und die beiden so vermutlich davor bewahrt, vom Jeep zerquetscht zu werden. Über das weite, gepflügte Feld hinter dem Flugzeugwrack konnte man eine von mehreren Bauernhäusern gesäumte Straße erkennen. In der Ferne zogen sich hohe Hochspannungsmasten durch die Landschaft. Ein über den Leitungen hängender Fallschirm war ein stummer Zeuge dessen, was sich möglicherweise zugetragen hatte. Rauch und der Lärm explodierender Granaten und Schüsse erfüllten die Gegend.
(…) Als wir ein Stückchen zwischen den Bäumen gelaufen waren, stießen wir auf ein Bahngleis, zu dem parallel, soweit das Auge reichte, ein langer, hüfthoher Graben verlief. Neben dem Graben war Erde aufgehäuft, und im Wald verstreut befanden sich Schützenlöcher. Die Deutschen mussten diese Stellungen geräumt haben, um sicherere Positionen tiefer im Wald einzunehmen, denn wäre es zu Kämpfen gekommen, hätten viele Verletzte herumgelegen. Wir machten eine Bestandsaufnahme unserer Lage und kümmerten uns um unsere Verletzungen. Nachdem ich die tiefe Schnittwunde an meinem Knie mit Wasser aus meiner Feldflasche gereinigt hatte, nahm ich das Verbandspäckchen von meinem Helm und schüttete Sulfonamid auf die Wunde. Danach wurde mir befohlen, im Schützengraben Richtung Norden zu gehen, um die Lage zu erkunden, während ein anderer in Richtung Süden gehen sollte. Wir hatten keine Ahnung, wo der Rest unserer Kompanie war, generell konnten wir hier an unserer Position nicht weit vom Divisionshauptquartier entfernt sein. (…) Ich kehrte zu unserer Stellung zurück und sah, dass meine Gruppe aus dem Wald auf das gepflügte Feld gezogen war und sich nach Westen bewegte. Warum diese Entscheidung getroffen wurde, weiß ich nicht. Ich konnte nur vermuten, dass es zu einem Sammelpunkt gehen sollte, der dem Piloten oder dem Korporal, der sich in der Gruppe befand, bekannt war. Andere, die in der Zwischenzeit gelandet waren, bewegten sich ebenfalls in diese Richtung. Ich folgte ihnen, rannte und humpelte so schnell ich konnte, trotz meines verletzten Knies, bis zum Wrack eines WACO und ließ mich zu Boden fallen.
Als ich mich umsah, sah ich, dass ich zwischen den Opfern eines Volltreffers lag. Keine zwei Meter von mir entfernt lag ein Lastenseglerpilot, dessen Schädeldecke sauber abgerissen war und dessen Gehirn auf seine Schulter quoll. Weitere Leichen lagen verstreut im und um den Lastensegler herum. Der Anblick des eigenen Einheitsabzeichens an einem Toten ist immer ein ernüchterndes Erlebnis.

Erschüttert von dem, was ich sah, hastete ich weiter auf das Feld hinaus, um den anderen zu folgen. Nachdem ich 30 bis 40 Meter über gepflügten Boden gelaufen war, bemerkte ich, dass ich beschossen wurde. Direkt vor mir sah ich eine tiefe Spur im weichen Boden und hechtete darauf zu. Die Kombination aus Ackerfurche und Schlitterspur eines Lastenseglers war gerade tief genug, um mich vor Treffern zu schützen. Einmal hob ich den Kopf, um zu sehen, wo meine Kameraden waren, und wurde zur Seite geschleudert, mein Helm wurde mir vom Kopf gerissen. Ich konnte ihn in drei Metern Entfernung liegen sehen, aber ich wagte nicht, ihn zurückzuholen. Von dort, wo ich lag, schien es, als kämen die Schüsse aus den etwa 300 Meter entfernten Bauernhäusern. Hätte ich einen Karabiner gehabt, hätte ich sicherlich ein paar Kugeln durch einige Fenster jagen können. Meine 45er M-3-Maschinenpistole war aber unter diesen Umständen nutzlos, und ich schwor, sie so schnell wie möglich loszuwerden. Kurz darauf explodierten mehrere Phosphorgranaten auf dem Feld, aber ich war mir nicht sicher, was es war oder wer sie abgefeuert hatte. (…)
Mein Bein pochte, und mein Kopf schmerzte. Während ich so dalag, überlegte ich, wie es nun weitergehen sollte. In diesem Moment bot sich mir ein wunderbarer Anblick. Aus einer Baumreihe im äußersten Nordwesten des Feldes tauchte ein Jeep auf. Er war voll besetzt mit Fallschirmjägern, sie saßen auf der Motorhaube und türmten sich auf dem Heck. Andere rannten nebenher. Dahinter kamen weitere, die aufgefächert nebeneinander liefen. Es war das 3. Bataillon des 513. Fallschirmjägerregiments, das irrtümlich weit nördlich von seiner Absprungzone abgesetzt worden war.

auf der Landezone „N“ - sie fahren die Kastanienstraße entlang.
Im Jeep neben dem Fahrer saß Major Morris Anderson, ihr Kommandeur. „Brauchen Sie Hilfe?“, fragte er, als er auf mich zukam. Ich war noch nie in meinem Leben so froh gewesen, jemanden zu sehen. Ihr Erscheinen musste bemerkt worden sein, denn das Feuer verstummte. Ich sagte ihnen, woher die Schüsse anscheinend gekommen waren. Einer der Männer sagte, dort drüben sei eine Maschinengewehrstellung, die das Feld beharkt habe. Sofort humpelte ich in Begleitung einiger Männer des 513. Regiments weiter, wütend und entschlossen, die Bauernhäuser zu säubern. Als wir dort ankamen, war es offensichtlich, dass die Stellung hastig geräumt worden war. In zweien der Gebäude lagen deutsche Ausrüstung und Patronenhülsen herum.
Als ich mich wieder auf die Suche nach meiner eigenen Gruppe machte, kam ich an dem Haus vorbei, das als letztes an der Straße stand. Während ich stehen blieb, hörte ich Geräusche aus einem Keller. Ich nahm eine Granate, die ich am Koppeltragegestell trug, und näherte mich der Kellerfalltür. Vorsichtig hob ich die Tür ein wenig an, während ich mich aus der Schusslinie hielt, und wollte die Granate hineinwerfen, als mir der Brief meiner Mutter und ihre Bitte „sei barmherzig“ einfiel. Deswegen zögerte ich und rief dann auf Deutsch nach unten: „Hände hoch! Sofort heraus!“ Keine Antwort. Ich rief erneut. Diesmal regte sich etwas, und dann tauchte die erste Person auf. Ich war fassungslos, als eine alte Großmutter auftauchte, dann eine weitere Frau, dann vier oder fünf kleine Kinder, bis insgesamt vierzehn Frauen und Kinder vor mir standen. Ich zitterte bei dem Gedanken, was ich hätte anrichten können. Bis heute schaudert es mich, wenn ich daran denke, welche Schuld auf meinem Leben gelastet hätte, wenn ich den Brief meiner lieben Mutter nicht erhalten hätte. Nach diesem Vorfall gab den Versuch auf, mich wieder den anderen meiner Gruppe anzuschließen, stattdessen begleitete ich einfach die Männer des 513. Regiments, die sich ihren Weg zu ihrem zugewiesenen Einsatzort erkämpften.
(Diese Auszüge aus John G. Kormanns Autobiographie „Echoes of a Distant Clarion“, Washington D.C., 2007 verwenden wir mit freundlicher Genehmigung seiner Tochter Andrea Kormann Lowe)

Sie findet sich zwischen Hamminkeln und Blumenkampf am Thülenweg,
direkt neben dem „Liberation Tower“, einem kleinen Privatmuseum zur Luftlandung.