John A. Clancy
Dieser Bericht wurde 1945 verfasst und dem Kriegstagebuch des 1. Kanadischen Fallschirmjägerbatallions beigefügt. Hauptmann John A. Clancy diente in dieser Einheit und geriet am 24. März 1945 in deutsche Kriegsgefangenschaft, nachdem er vermutlich bei Loikum, weitab von der Absprungzone bei Bergerfurth, am Fallschirm gelandet war. Er beschreibt seine Erlebnisse als Gefangener, darunter einen Marsch von mehreren tausend Gefangenen, die von der vorrückenden Front nach Norden Richtung Lüneburg verlegt werden sollten. Sein Bericht zeigt, mit welchen Schwierigkeiten alliierte Kriegsgefangene konfrontiert waren, wie die Lage in Deutschland 1945 war und welche Haltung die Deutschen gegenüber Gefangenen an den Tag legten. Am 15. April floh Clancy mit zwei Kameraden und schlug sich bis zum 18. März zu den britischen Linien durch.

Kriegskorrespondent Geoffrey Bocca, Leutnant Jack Simpson
und Captain John A. Clancy.
Ich sprang mit dem Fallschirm ab, vermutlich etwa 5 bis 6 Kilometer nordöstlich der Absprungzone des Bataillons. Während des Falls wurde ich unter Gewehrfeuer genommen, bis ich auf dem Boden aufkam. Meine Position konnte ich nicht bestimmen.
Es gelang mir, den Verschlussmechanismus meines Gurtzeugs zu öffnen, den Reißverschluss meiner Sprungjacke zu öffnen und meine Pistole aus dem Holster zu ziehen. Ich feuerte elf Schüsse ab und verwundete zwei Deutsche. Drei Deutsche schlichen sich von hinten an und rissen mir meine Ausrüstung ab. Anschließend wurde ich zu ihrem Gefechtsstand geführt, wo mich ein deutscher Fallschirmjägerleutnant in Empfang nahm, in den Keller des Gebäudes führte und gründlich durchsuchte. Ich hatte nur meine persönliche Kleidung, meinen Truppenausweis, 100 Mark Invasionsgeld, 20 Zigaretten, eine Schachtel Streichhölzer und vier Rasierklingen. Meine Tarnjacke, meinen Gürtel und mein Barett durfte ich behalten. Fünfzehn Minuten nach meiner Gefangennahme wurde ein weiterer Kriegsgefangener, ein Hauptmann der amerikanischen Luftwaffe, in den Gefechtsstand gebracht.
Dreimal am Tag konnte ich nach draußen gehen, um zu urinieren. Ich versuchte, mich im Gelände zu orientieren und mich auf eine Flucht vorzubereiten, falls sich die Gelegenheit bot. Jedes Mal, wenn ich hinausgelassen wurde, wurde ich von zwei oder drei Wachen begleitet. Den ganzen Tag über versuchte ich, meine Position auf einer deutschen Kartentafel zu finden, doch jedes Mal, wenn ich mich bewegte, um einen Blick auf die Karte zu erhaschen, wurde sie weggedreht. Ich wurde kurz über alliierte Pläne und Truppenaufstellungen verhört. Als ich mich weigerte, darüber zu sprechen, gingen sie zu politischen Diskussionen über, die ebenfalls ergebnislos blieben. Gegen 21:00 Uhr abends wurden ich, ein Hauptmann der amerikanischen Luftwaffe und 15 Verwundete (alliierte und feindliche) nach dreistündiger Fahrt zu einem Lazarett gebracht. Hier wurden die Verwundeten übergeben.
Der amerikanische Offizier und ich wurden nach einer Stunde Fahrt vom Lazarett zu einer kleinen Ansammlung von Bauernhäusern gebracht. Wir mussten eine Stunde draußen stehen und wurden gegen 2 Uhr hineingeführt und von zwei Vernehmern einzeln durchsucht. Ich wurde dann eine Stunde lang von beiden Vernehmern verhört. (…)
Wir durften bis 7:30 Uhr am nächsten Morgen in den Ställen des Bauernhofs schlafen, dann wurde ich um 10:00 Uhr für ein einstündiges Verhör zum Hauptquartier zurückgebracht. Der Vorgang wiederholte sich mit zahlreichen Drohungen. Ich wurde unter Bewachung aus dem Haus geschickt. Zwei SS-Männer und ein für das Gebiet zuständiger Major wurden hinzugezogen. Es geschah nichts weiter, und wir durften in die Ställe zurückkehren, um uns bis ungefähr 3:00 Uhr am 26. März 1945 auszuruhen. Dann bekamen wir die erste Verpflegung seit unserer Gefangennahme, bestehend aus einem Fünftel Brot und etwas Fleisch. Wir marschierten bis 11:00 Uhr, als wir eine Gruppe von Bauernhäusern in der Nähe von Gemen erreichten. Hier wurden wir erneut durchsucht und kurz verhört. Wir bekamen einen Teller Suppe und eine Scheibe Brot. Bei Einbruch der Dunkelheit begann unsere Kolonne einen Marsch, der bis 8:00 Uhr am 27. März 1945 dauerte. Hier blieben wir in einer Häusergruppe, wo wir erneut durchsucht wurden. In der Nacht des 28. marschierten wir zu einem etwa 5 km entfernten Bahnhof, wo wir in einen Zug stiegen. Wir wurden zu je 40 bis 50 Mann in einen Viehwaggon verladen. Die Zugfahrt dauerte drei Tage. Die ersten beiden Tage der Reise wurden wir im Waggon eingesperrt und durften weder urinieren noch unsere Notdurft verrichten oder Wasser trinken. (…)
Während der gesamten Reise wurden die Verwundeten nicht anders behandelt als die Unversehrten. Wir erreichten Fallingbostel gegen Mittag des 31. März 1945 und mussten mehrere Kilometer zum Stalag 11B marschieren. Hier wurden wir durchsucht, verhört und einem Bereich im Lager zugeteilt. Wir blieben bis zum 7. April 1945 im Stalag 11B. Ich wurde dort als Kriegsgefangener unter der Nummer 01863 registriert.
Die ganze Woche über durften wir Gottesdienste besuchen und bei Bedarf an Sanitätsgängen teilnehmen. Unsere größte Schwierigkeit war die Verpflegung. Unsere Ration bestand aus einer Schale Ersatzkaffee um 7:30 Uhr, einer Schale Suppe um 11:00 Uhr und einer Schale Ersatzkaffee um 13:00 Uhr, 1/7 Laib Brot pro Mann, einem Esslöffel Zucker, einem kleinen Stück deutscher Margarine und 3 bis 5 kleinen Kartoffeln für einen Zeitraum von 24 Stunden. Wir gehörten zu den Glücklichen, die im Laufe der Woche in Stalag 11B 1/5 und 1/4 eines Rotkreuzpakets ergattern konnten. Die sanitären Bedingungen in unserem Lager wurden von der Lagerleitung völlig vernachlässigt. Täglich starben Männer an Unterernährung, und die Krankenstationen waren nicht groß genug, um die Kranken aufzunehmen. Kriegsgefangene aller alliierten Nationen wurden in Stalag 11B festgehalten. Die deutschen Dienststellen beabsichtigten, die kriegsgefangenen Offiziere in ein Lager in der Nähe von Braunschweig zu verlegen.
Daher bestieg am 7. April 1945 um ca. 7 Uhr in Fallingbostel eine Gruppe von 30 britischen und amerikanischen Offizieren einen Zug. Wir fuhren durch Soltau, wo wir den Zug wechselten. Ungefähr zwei Stunden Fahrt von Soltau entfernt wurde der Zug angehalten, und wir wurden angewiesen, wegen eines Luftangriffs in Deckung zu gehen. Amerikanische Bomber bombardierten die Bahnstrecken einige Meilen vor uns. Der Zug musste nach Soltau zurückkehren, und wir wurden in einer Gruppe außerhalb des Bahnhofs festgehalten. Um ca. 18:30 Uhr beschossen vier „Typhoon“ Jagdbomber den Bahnhof und zerstörten das Stellwerk, zwei Flugabwehrwaggons sowie ein Benzin- und Munitionslager. Sechs Offiziere unserer Gruppe wurden verwundet, und einer unserer Wachleute kam ums Leben. Wir wurden zu einer nahegelegenen Sanitätsstation gebracht, wo das Verhalten eines deutschen Obersts deutlich zeigte, dass ihm unser Anblick sehr mißfiel. Die sechs Verwundeten wurden schließlich behandelt. Hauptmann Harry Hewitt, SHAEF, RA, organisierte unsere Kolonne und wir wurden gezwungen, mit unseren Verwundeten zurück nach Stalag 11B zu marschieren, da der örtliche Gestapo-Offizier unsere Anwesenheit mißfiel. Der Marsch dauerte von 21:30 Uhr am 7. April 1945 bis 4:30 Uhr am 8. April 1945. Nach unserer Rückkehr nach Stalag 11B wurden die Verwundeten ins Lazarett gebracht. Wir durften eine Stunde schlafen, wurden zum Appell geweckt und mussten uns zum Verlassen des Lagers bereit machen. Am selben Morgen um 11:00 Uhr marschierten wir von dort los und marschierten jeden Tag, mit Ausnahme eines Ruhetages. Ich kann mich nicht erinnern, durch welche Städte oder Dörfer wir genau marschierten. Am 13. April kamen wir durch eine kleine Stadt in der Nähe von Soltau, die ich von unserer Zugfahrt vom 7. April wiedererkannte. Die ganze Woche über lebten wir größtenteils von dem, was das Land hergab. Unsere Gruppe wurde höchst respektvoll und kompetent von einer Gruppe von 100 Kriegsgefangenen mitversorgt, die aus den Gebieten des Britischen Empire stammten und unter dem Kommando von des Kompaniefeldwebels John Roussow von der südafrikanischen Armee standen. Sein Mut und seine Fähigkeiten waren für uns alle eine Quelle der Inspiration. Unsere eigene Kolonne zählte ungefähr 1500 Mann. Ich hatte gehört, dass unsere gesamte Kolonne 10.000 Mann stark war. Wir erreichten Barnstedt am Nachmittag des 14. April 1945, wo wir bis 13.00 Uhr des 15. April 1945 bleiben sollten, um dann nach Lüneburg zu marschieren und auf dem Weg nach Lübeck die Elbe zu überqueren. Am Morgen des 15. hörten wir, dass Uelzen von der amerikanischen Armee eingenommen worden war. Eine dreiköpfige Gruppe, bestehend aus Lt. Jack Simpson, 7. Fallschirmjägerbataillon, und Mr. Jeffrey Bocca, britischer Kriegskorrespondent beim Daily Express, beschloss zu fliehen. Regiment Sergeant Major Roussow sorgte dafür, dass unsere Abwesenheit nicht auffiel, indem er drei Männer aus einer anderen Kolonne abzog, um uns zu ersetzen.
(…)
Während unserer Gefangenschaft stellten wir fest, dass die Deutschen, ob Soldaten oder Zivilisten, unfähig waren, ihre Versprechen einzuhalten, sei es, den Verwundeten zu helfen oder uns nur etwas zu trinken zu geben. Die Zivilisten begegneten uns mit einer Mischung aus Angst, Hass und Unverschämtheit. Eine etwa fünfzigjährige Frau stand an der Ecke, als wir vorbeimarschierten, spuckte uns in der Kolonne an und beschimpfte uns als „Schweinehunde“. Viele Soldaten und Zivilisten im rückwärtigen Gebiet gaben stillschweigend zu, dass ihre Sache verloren war, doch aus Angst vor Repressionen machten sie weiter. Schlimmer als der Mangel an materiellem Komfort, Nahrung und Wasser empfanden wir den Verlust unserer Freiheit.
