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Krieg am Niederrhein

Die Ereignisse im Raum Wesel 1944/45

Die Internierung von Zivilisten in Bedburg-Hau

Nach der Eroberung des linken Niederrheins internierte die britische Armee die verbliebene Zivilbevölkerung in Bedburg-Hau. Dort diente von Februar bis April 1945 eine ausgedehnte  Klinikanlage als Unterkunft. Die Menschen lebten wochenlang beengt in den Gebäuden der „Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau“ sowie in umliegenden großen Zeltlagern.

Briten und Kanadier treffen auf die deutsche Bevölkerung

Ab dem 8. Februar 1945 rückten britische und kanadische Truppen am Niederrhein auf deutschen Boden vor – und trafen dort auf jene Zivilisten, die trotz der bedrohlichen Lage in der Heimat geblieben waren. Die Alliierten betrachteten die Deutschen in erster Linie als Feinde: Menschen, denen man nicht trauen und konnte und denen man wenig Mitleid entgegenbrachte. Und so musste entschieden werden, wie die Truppen mit dieser Bevölkerung umgehen sollten. Ein klares Konzept gab es zunächst nicht. In den ersten Tagen der Offensive („Operation Veritable“) brachte man etliche deutsche Zivilisten aus dem unmittelbaren Grenzgebiet in die Niederlande. In Nimwegen sperrte man sie in einer Erziehungsanstalt für Jugendliche – Tuchtschool genannt – ein. Doch dies sollte eine Ausnahme bleiben, denn der Abtransport deutscher Zivilisten in die Niederlande war nach vorherigen schlechten Erfahrungen untersagt worden. Nach zehn Tagen wurden diese ersten „Internierten“ wieder ins Reichsgebiet gebracht – und zwar nach Bedburg-Hau. Dieser Ort sollte in den folgenden Monaten eine zentrale Rolle im Umgang mit deutschen Zivilisten spielen.

Deutsche Zivilisten unter alliierter Kontrolle

Überall herrscht qualvolle Enge. (IWM B 15393)

Im Februar 1945 konzentrierten Briten und Kanadier die linksrheinischen Zivilisten, auf die sie trafen, zunächst in Schulgebäuden, Kirchen und Klöstern – etwa in der Kirche in Materborn, in der sich 300 Personen ansammelten, sowie im Kapuzinerkloster Kleve – in letzterem kamen zeitweise 500 Menschen unter. In Vornick, am östlichen Ortsrand von Goch, entstand zudem ein Zeltlager für 600 Flüchtlinge, während im Kloster St. Bernhadin in Hamb bei Kapellen Anfang März etwa 500 Personen untergebracht wurden. In späteren Berichten über diese Unterkünfte wird die Versorgungslage mit Lebensmitteln als ausreichend beschrieben, die hygienischen Verhältnisse hingegen waren schwierig. Bereits Mitte Februar 1945 hatten britische Truppen Kleve und das Gebiet um Bedburg-Hau erobert. Im weitgehend zerstörten Kleve trafen die Briten auf etwa 1000 verbliebene Zivilisten. Klare Befehle für ihren weiteren Verbleib gab es nicht, und schließlich machten sie sich auf den Weg ins knapp vier Kilometer entfernte Bedburg-Hau. Dort lag die „Provinzial- Heil und Pflege-Anstalt“, in der schon zuvor zahlreiche Bewohner Kleves Zuflucht vor dem Kriegsgeschehen gesucht hatten. In einem großen, bewaldeten Areal verfügte diese Heilanstalt über etwa 80 größtenteils unzerstörte Gebäude. Deswegen kam ihr nun eine wichtige Bedeutung bei der Unterbringung deutscher Zivilsten zu. 

Die „Provinzial-Heil und Pflege-Anstalt Bedburg-Cleve“

Die Heilanstalt in Bedburg-Hau war 1912 in Betrieb gegangen – psychisch Kranke sollten dort nach den Maßstäben jener Zeit mustergültig untergebracht und therapiert werden. Dafür gab auf knapp einem Quadratkilometer in einem bewaldeten Areal insgesamt 36 neu gebaute mehrstöckige und großflächige Gebäude für die Unterbringung von etwa 2200 Patienten, dazu kamen ein großes Verwaltungsgebäude, zahlreiche Wohnhäuser für das Personal, eine Großküche, eine Wäscherei, mehrere Werkstattgebäude, ein Schlachthof, eine Bäckerei, eine Kirche und eine Veranstaltungshalle, zwei landwirtschaftliche Gutshöfe. Maschinengebäude für die Strom- und Wasserversorgung machten die Klinik weitgehend autark. Die damalige Anlage existiert noch immer und ist für Besucher frei zugänglich. Hier befindet sich heute die LVR-Klinik Bedburg-Hau, in der psychiatrische und neurologische Krankheiten behandelt werden. Auf dem Gelände gibt es zudem einige geschlossene und eingezäunte Stationen der forensischen Psychiatrie.

Die militärische Nutzung der Anstalt

Den besonderen Wert dieser Großanlage hatte man schon im ersten Weltkrieg erkannt und einige Teile als Militärlazarett genutzt. Diese Nutzung setzte man im Zweiten Weltkrieg fort – ab März 1940 etablierte sich in der „Heil- und Pflege-Anstalt“ ein Reservelazarett der Wehrmacht. Es ist bezeichnend für den verbrecherischen Charakter der NS-Herrschaft, dass man schon im September 1939 insgesamt 356 psychische Kranke aus Bedburg in Tötungsanstalten abtransportiert hatte. Euthanasie, der staatlich organisierte Mord an Kranken, wurde in Hitlers Deutschland seit Kriegsbeginn systematisch betrieben. Weitere 1600 Pateinten wurden Anfang 1940 abtransportiert – knapp die Hälfte von ihnen wurde nachweislich ermordet. In Bedburg-Hau gab es nun ausreichend Platz für die Wehrmacht. Ab dem Sommer 1941 beherbergte die Anlage eine Marine-Lazarett mit 1170 Betten, das erst ab September 1944 verlegt wurde, als nach der alliierten Luftlandung bei Arnheim und Nimwegen die Front immer näher rückte. Nach einem Bombenangriff auf Kleve Ende September 1944 verlegte man Patienten des zivilen Klever Krankenhauses in zwei Anstaltsgebäude. Da Kleve bei einem weiteren Bombenangriff am 7. Oktober 1944 schwer zerstört wurde, suchten zahlreiche Überlebende zunächst Zuflucht in Bedburg-Hau. In dieser Kriegsphase beherbergten einige Anstaltsgebäude auch zwei „Hauptverbandplätze“ – also Feldlazarette – für Wehrmachteinheiten, die in den Niederlanden im Kampfeinsatz waren. 

Bedburg-Hau als Zufluchtsort und Internierungslager

Seit Mitte Februar 1945 stand das Anstaltsgelände unter britischer Kontrolle – und auch die neu eingerichtete Militärregierung erkannte den Wert der Anlage. Immer mehr deutsche Zivilisten flohen vor den Kämpfen nach Bedburg, Ende Februar hatten bereits 8000 Menschen hier Unterkunft gefunden. Sie trafen dort auf etwa 1000 Patienten, die mit ihrem Pflegepersonal noch immer in der Klinik untergebracht waren. Nach dem ersten Zustrom von Flüchtlingen war fast jedes Gebäude voll belegt. Anfang März 1945, als die Alliierten fast den gesamten linken Niederrhein besetzt hatten, verschärfte sich die Lage. Die Eroberer bereiteten den Großangriff über den Rhein vor. Um ihre militärischen Aktivitäten geheim zu halten, räumten sie ein breites Gebiet westlich den Rheins restlos von Zivilisten. Alle Deutschen, die trotz der Kämpfe in den Dörfern und Höfen ausgeharrt hatten, mussten sich nun zwangsweise nach Bedburg-Hau begeben. Hier entstand das zentrale Internierungslager für die Bevölkerung des linken unteren Niederrheins.

Die Zeltstadt Bedburg-Hau

Die Gebäude der „Heil- und Pflege-Anstalt“ waren mit über 8000 Flüchtlingen bereits überfüllt, als dort ab dem 10. März 1945 weitere Menschen interniert werden sollten. Die Zahlen variieren, doch meist wird angegeben, dass bis zu 28.000 deutsche Zivilisten dort versammelt waren. Die Neuankömmlinge konnten in den Gebäuden der Klinik nicht mehr unterkommen. Erschwerend kam hinzu, dass einige Gebäude geräumt werden mussten, da die Briten und Kanadier in Vorbereitung des Rheinübergangs drei Hauptverbandplätze auf dem Klinikgelände einrichteten. Um alle Zivilisten unterzubringen, legten die Besatzungstruppen sieben „Bezirke“ mit jeweils 100 bis 200 Zelten für je 10 bis 15 Personen rund um die Klinik an. Hier musste der größte Teil der Internierten in den kommenden Wochen hausen. Die Besatzer ernannten eine deutsche Lagerverwaltung, die helfen sollte, die schwierigen Herausforderungen im Internierungslager zu bewältigen. 

Schwierige Verhältnisse im Lager

Die Menschen, die in Bedburg interniert waren, haben überwiegend negative Erinnerungen an die Verhältnisse im Lager – in den meisten Berichten ist von einer Zeit großer Not die Rede. Die hygienischen Verhältnisse in den Zelt-Bezirken waren schrecklich, da diese lediglich über offene Latrinengräben verfügten. Zudem führte die extrem enge Belegung  des Camps zur Verbreitung von Durchfall- und Atemwegserkrankungen. Insgesamt starben 367 Menschen während der Internierung in Bedburg – zumeist waren es alte Leute, unter den Toten waren jedoch auch 57 Kinder, die an Diphterie erkrankt waren. Für die Masse der Internierten blieb die Ernährungslage das Hauptproblem. Die britische Armee stellte die Grundversorgung, und aus den umliegenden verlassenen Dörfern wurden Vorräte eingesammelt. Herrenloses Vieh konnte geschlachtet werden, die Großküche der Anstalt arbeitete in drei Schichten, um Suppen für alle zu kochen. Nach und nach richteten sich die Menschen ein, improvisierten auch eigene Kochstellen und sammelten in der Umgebung des Lagers zusätzliche Nahrungsmittel. Etliche Männer wurden in Arbeitskommandos eingesetzt und konnten so an Sonderzuteilungen von Lebensmitteln und Tabak kommen.  

Auflösung und Weiternutzung des Lagers Bedburg

Ende März 1945 hatten die Alliierten den Rhein auf breiter Front überschritten, und am 3. April 1945 begann die Rückführung der Menschen in ihre Heimatorte. Auch das war schwierig, denn Städte wie Kleve und Goch waren weitgehend zerstört und Wohnraum war überall knapp. Doch innerhalb von drei Wochen leerte sich das Lager komplett von deutschen Zivilinternierten. Das Anstaltsgelände in Bedburg-Hau wurde weitergenutzt, um die Folgen des Krieges zu bewältigen. Zum einen richtete sich von April bis September 1945 das „77. British General Hospital“ auf dem Gelände ein. Dieses große Kriegslazarett der britischen Armee versorgte zunächst britische Soldaten, die in den letzten Kriegswochen verwundet und von der Front in den rückwärtigen Raum verlegt wurden. Nach dem Kriegsende war das britische Hospital auch für eine ganz Kategorie von Kriegsopfern zuständig: In der Heilanstalt Bedburg waren zeitweise sogenannte „Displaced Persons“ (DPs) untergebracht – Menschen, die während des Krieges von den Deutschen zur Zwangsarbeit oder  in Konzentrationslager verschleppt worden waren. Sie mussten nach Kriegsende in Deutschland ausharren, bis sie in ihre Heimatländer zurückkehren konnten oder Visa für eine Ausreise in andere Länder erhielten. Außerdem wurde auf dem Anstaltsgelände ein Lazarett für deutsche Kriegsgefangene, die sich in britischem Gewahrsam befanden, eingerichtet. Die Kreisverwaltung Kleve nutzte seit 1946 ebenfalls Gebäude der „Heil- und Pfleganstalt Bedburg-Hau. Bis 1949 kamen zudem deutsche Kriegsgefangene, die aus Lagern in der Sowjetunion entlassen wurden, nach Bedburg, um dort medizinisch untersucht und betreut zu werden.

Antonia Hankel aus Wesel Büderich hat ihre Erinnerungen
an die Kriegszeit niedergeschrieben.
Ab Seite 4 über das Zeltlager in Bedburg-Hau.
Mit freundlicher Genehmigung des Heimatvereins Büderich.
Max Scholten, ebenfalls aus Büderich hat seine Erinnerungen
an das Lager in ein Gedicht gefasst.
Mit freundlicher Genehmigung des Heimatvereins Büderich.